Interview mit Dr. Andreas Kraushaar, Leiter der Abteilung Fogra-Vorstufentechnik

“Messen-im-Bild“ – eine Vision wird Realität!

Dr. Andreas Kraushaar, Fogra
In den Vorträgen zu Farbmanagement werden die aktuellen Neuigkeiten im Bereich M1-Workflow, Mehrfarbendruck, Proofing und der farbgetreuen Referenzierung der Kundenfarben thematisiert (Quelle: Fogra)

Das Fogra Colour Management Symposium, ein internationales Leitevent zum Thema Farbmanagement, findet vom 6. bis 7. Juli 2022 in München statt. Ursprünglich für März 2022 geplant und wegen der Corona-Pandemie verlegt, wird es nun als Hybrid-Event (Präsenz und Online) veranstaltet. Fachleute berichten über neueste Trends und liefern Hintergrundwissen über aktuelle und zukünftige Praxislösungen. Ein Interview mit Dr. Andreas Kraushaar, dem Leiter der Abteilung Vorstufentechnik der Fogra.

Das Forschungsinstitut für Medientechnologien e.V.  (Fogra) wurde 1951 gegründet und gehört damit nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern auch international zu den ältesten und renommiertesten Forschungsinstituten für die Druck- und Medienindustrie. Herr Dr. Kraushaar, wie beurteilen Sie vor diesem beeindruckenden Erfahrungshintergrund die aktuelle Lage der Branche insbesondere angesichts der vielfältigen Krisen und Herausforderungen wie Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, Digitalisierung, KI sowie nachhaltige und recyclingfähige Verpackungen?
Dr. Andreas Kraushaar: Die genannten Herausforderungen sind in der Tat gewaltig. Für die Fogra bedeutet dies, die unmittelbare Umsetzung der Ergebnisse unserer Forschung für die Praxis sowie die entsprechende Weiterbildungsangebote für die Mitarbeiter in der Druckindustrie noch mehr in den Vordergrund zu stellen.

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Welche Konsequenzen hat die Bewältigung dieser Herausforderungen für die zukünftige Entwicklung der Druck- und Medienindustrie?
Dr. Andreas Kraushaar:Hauptsächlich sehe ich die technologische Verschmelzung der ehemals getrennten Bereiche des Akzidenz- und Werbedrucks, des Etiketten- und Verpackungsdrucks sowie der industriellen Druckfertigung. Den steigenden Kosten bei gleichzeitig ständig wachsenden Qualitätsansprüchen kann man nur begegnen, wenn die Prozesse, die Strukturen und die finale Qualität stimmen.

Was ist der Beitrag und die Hilfestellung der Fogra in diesem Zusammenhang für die Unternehmen?
Dr. Andreas Kraushaar: Die Fogra hilft als Dienstleister in der Druckindustrie an verschiedenen Stellen. Exemplarisch herausgreifen möchte ich die Aktivitäten im Bereich Energie. Hier bieten wir zum einen die Optimierung der elektrischen Leistungsaufnahme beim Druck, beispielsweise durch verbesserte Maschineneinstellung. Zum anderen identifiziert unsere Lastgangmessung der typischen Unterverteilungen bereits nach einer Woche bislang unerkannte, versteckte Verbraucher und eröffnet somit weitere Einsparpotenziale. Getreu dem Motto von McKinsey: „25% geht immer“!

Welche Rolle spielt dabei das Farbmanagement?
Dr. Andreas Kraushaar: Im Werbe- und Verpackungsdruck aber insbesondere im industriellen Druck steht das visuelle Erscheinungsbild als herausragendes Merkmal im Zentrum der finalen Produktqualität. Während die werkseitig mitgelieferten Farbmanagement-Tools für eine Vielzahl von Druckaufträgen zu verkaufsfähigen Produkten führt, sieht dies bei Auftraggebern mit hohen Qualitätsansprüchen ganz anders aus. Hier merkt man schnell, dass Software, Hardware und „Brainware“ Hand in Hand gehen müssen.

Fogra-Symposium in München
Die größte Änderung ist die hybride Durchführung des Symposiums. Teilnehmer können somit entscheiden, ob sie vor Ort dabei sind oder online die Vorträge verfolgen
(Quelle: Fogra)

Der Druckmarkt ist auch Big Business: Der globale Jahresumsatz aller Druckdienstleister beläuft sich auf rund 700 Mrd. Euro und übertrifft damit sogar die Automobilindustrie mit etwa 500 Mrd. Euro. Welche Bereiche und Produkte haben nach Ihrer Ansicht die größten Wachstumspotenziale?
Dr. Andreas Kraushaar: Ich denke, dass der digitale Textildruck seinen weltweiten Anteil von aktuell etwa 8% auf rund 30% im Jahr 2030 ausweiten wird. Ein Bereich, den die Fogra zunehmend ins Auge fasst und der neben dem etablierten Werbedruck wie beispielsweise Soft-Signage und Graphics insbesondere den Bekleidungsdruck umfasst. Im Verpackungsdruck kann ich keine fundierte Einschätzung abgeben. 

Nach zweijähriger Corona-Pause findet vom 6. bis 7. Juli 2022 endlich wieder das „Fogra Colour Management Symposium“, dem internationalen Leitevent für den Bereich Farbmanagement, in München statt. Hat sich am Konzept der Veranstaltung im Vergleich zur „Vor-Corona-Zeit“ etwas verändert? Worauf können sich die Teilnehmer besonders freuen?
Dr. Andreas Kraushaar: Die größte Änderung ist sicher die hybride Durchführung der Veranstaltung. Teilnehmer können somit entscheiden, ob sie vor Ort dabei sind oder online die Vorträge verfolgen. Weiterhin sind wir stolz, ausschließlich Anwender als Referenten zu bieten. Die Teilnehmer bekommen somit keinen Sales-Talk, sondern Praxisinformationen aus erster Hand.

Es treten als Referenten also keine Experten aus der Zuliefererindustrie auf. Was sind die Gründe dafür?
Dr. Andreas Kraushaar: Man muss nicht Psychologie studieren, um zu wissen, dass dem Verkäufer einer Lösung weniger Vertrauen entgegengebracht wird als einem Kollegen, der diese im Tagesgeschäft auch tatsächlich nutzt. Dennoch liegen selbstverständlich gute Gründe vor, warum Anwender sich für den Kauf und die Nutzung einer bestimmten Lösung entschieden haben. Daher besteht auf dem Fogra-Event die Möglichkeit, die als Aussteller vertretenen Zulieferer entsprechend zu befragen.

Welche neuesten Trends im Farbmanagement werden in den Vorträgen behandelt?
Dr. Andreas Kraushaar: Thematisiert werden die aktuellen Neuigkeiten im Bereich M1-Workflow, Mehrfarbendruck, Proofing und der farbgetreuen Referenzierung der Kundenfarben. Hervorheben möchte ich eine hochmoderne Farbmanagement-Technik, die während des Drucks das ganze Bild spektral misst und die so gewonnenen Daten dem RIP zum Online-Update der Ansteuerung zur Verfügung stellt. Sie können sozusagen dabei zusehen, wie die Farbe in Sekunden zum OK gebracht werden. „Messen-im-Bild“ war für die Fogra lange Zeit nur eine Vision – jetzt ist es möglich!

Wenn heute über Farbmanagement gesprochen wird, so fallen vermehrt auch Begriffe wie Künstliche Intelligenz (KI), Algorithmen oder Internet of Things (IoT). Welche Bedeutung haben sie für die weitere Entwicklung des Farbmanagements in der Druck- und insbesondere in der Verpackungsdruckindustrie?
Dr. Andreas Kraushaar: Das wird vor allem im Hintergrund für eine Verbesserung der Prozesse und eine Steigerung der Farbgenauigkeit sorgen. Richtig „merken“ werden es die Anwender meiner Einschätzung nach eher im Design-Bereich. Hier sorgen die tragbaren und günstigen Messgeräte samt passender Apps für einen Durchbruch des Farb-Know-hows im Design. Hierzu wird ein Designer auf dem Symposium einen Vergleich der aktuellen Systeme bieten.

Wie lange wird es Ihrer Meinung nach noch dauern, bis wir von einem wirklichen vollautomatischen Druckprozess – von der Vorstufe über den Druck und die Veredlung bis zur Weiterverarbeitung – sprechen können, der keinen Personaleinsatz mehr erfordert?
Dr. Andreas Kraushaar: Wohl noch sehr lange, denn Fachleute mit Herz und Verstand wird es stets brauchen. Die vollautomatischen Prozesse sehen wir bereits im Online-Druck sowie im industriellen Druck. Hier ist eine kontinuierliche Verbesserung zu erwarten, die neben den Qualitätsdaten auch die Business Intelligence miteinbezieht.

Auf dem Fogra-Event befassen sich insgesamt drei Vorträge mit dem komplexen Bereich „Multicolour“. Warum wird dieses Thema auf dem diesjährigen Fogra-Symposium so umfassend behandelt?
Dr. Andreas Kraushaar: Es handelt sich dabei um einen noch vergleichsweise neuen Bereich, der, abgesehen von FOGRA55, noch völlig ohne Standardisierung ist. Daher besteht ein Informationsbedarf hinsichtlich der entsprechenden Tools für Separation, Farbauswahl, Proofing und Prozesskontrolle. Das Symposium wird durch die erwähnten Praxisvorträge hier den aktuellen Stand der Technik präsentieren.

In diesem Zusammenhang wird Andreas Praß von All4Labels einen Vortrag zum Thema „Flexodruck digital – Multicolour-Etikettenproduktion“ halten. Was kann der Symposium-Teilnehmer hier erwarten und welche Details möchten Sie unseren Lesern jetzt schon nennen?
Dr. Andreas Kraushaar: Andreas Praß verantwortet bei All4Labels die Harmonisierung der unterschiedlichen Unternehmensstandorte. Dabei nutzt er die Prozessunabhängigkeit des „ProzessStandard Digitaldruck“ (PSD), der eine vorhersagbare Druckqualität im klein- und großformatigen Digitaldruck ermöglicht. Der Titel seines Vortrags lautet: “Digitalisierung des Flexodrucks – der Weg zur prozessunabhängigen Multicolor-Etikettenproduktion”.

Herr Dr. Kraushaar, vielen Dank für das Interview.

 

Das Interview stammt aus der aktuellen Flexo+Tief-Druck 4-2022 (Juli-Ausgabe).